Song for Luis

2009

 

Die besten Bilder sind die, die im Herzen liegen.
Es sind diese, die sich einbrennen,
die einen Augenblick für alle Ewigkeiten in einen Menschen schnitzen.
Und es sind häufig nur Augen Blicke,
die eine festgefügt scheinende Welt durch ein anderes Leben ersetzen.
 
Dieser erste Blick, den du mir schenktest -
du in diesem ‚Stahlrollbettchen‘,
in dem sie dich aus dem OP schoben,
gerade durch Kaiserschnitt in diese Welt geworfen,
Lichtjahre von deiner sedierten Mutter entfernt
 
- und auf der anderen Seite ich -
dieses großgewordene Kind,
immer auf der Flucht vor jeglicher Verantwortung,
auf der Flucht vor mir selbst,
den ich, wie überhaupt die ganze Welt, in wohlgeformten Worten stets aufs trefflichste zu ergründen weiß -
 
Sollte ich Beschreibungen finden, die diesen Blick erklären?
Soll ich deinen Gesichtsausdruck zeichnen?
 
Ich kann es nicht;
all die Worte, die ich in all den langen Jahren in mir angesammelt habe,
all die Bilder, Farben und Ideen -
in dieser Sekunde (die eine Ewigkeit währte*) war nichts mehr.
 
Keine Nacht mehr, die wir im Kreißsaal verbracht,
kein Krankenhaus, kein Gezänk, keine Welt, kein Heute, kein Gestern.
 
Ich sah das Schönste, das ich je gesehen hatte und jemals haben werde.
 
Ich sah alle Universen, alle Zeiten und alle Dimensionen.
 
Ich sah alle Menschen, alle Lebewesen, alle Materialisationen, die in jeglicher Form möglich sein werden gekonnt hatten müssten.
 
Ich sah den Sinn meines Lebens.
 
Es war ein Blitz, der in mein Herz fuhr und ich wusste mit einem Mal, wer ich bin und wofür ich lebe.  


*: diese Augenblicke, die Ewigkeiten währen -
der Absturz der Chinook in Mannheim -
die Landung des Delta-Gerolsteiner auf dem Sportplatz in Bochum -
die Querruderumkehrwirkung im Anflug auf Damme-Klausheide -
die erste positive, nicht mit dem Tod verknüpfte Ewigkeit -
welch ein Zeichen